Tour de Zeleňák 2018

01. September 2018. Endlich ist es soweit. Die Plakate hatte ich schon vor Jahren beim Krusnoton gesehen.
Ich bin bei der „Tour de Zeleňák“ in Rumburkcz. Frei übersetzt wohl „Tour im Grünen“. Für mich aber eher eine Fahrt „ins Blaue“.
 
Nun, jedenfalls ich bin heil ins Ziel gekommen – mit, besser sogar auf dem Rad. Aber recht abenteuerlich war es heute schon.
 
Die PKW-Anfahrt verlief reibungslos, nur dass ab Bautzen die ersten Tropfen auf die Frontscheibe klatschten. O.K., ich hätte natürlich gestern Abend nochmal in den Wetterbericht schauen können, als ich dass das letzte Mal tat wurde noch ein trockener Tag verkündigt. Außerdem dauert es nach einem Vierteljahr Dürre noch einige Zeit, bis sich der Fakt, dass es Niederschläge überhaupt gibt, wieder in meinem Bewusstsein manifestiert. Naja, meine ultraleicht-hightec-Regenjacke lag jedenfalls zu Hause im Schrank. Und Bautzen ist ja noch nicht Rumburk.
 
Dort war es dann aber auch nicht besser, und das Thermometer wollte auch nicht über 13° steigen. Meteorologischer Herbstanfang eben. Wie in der Ausschreibung beschrieben bin ich den gelben Schildern zum Parkplatz gefolgt. Nach dem Abstellen des PKW`s auf irgendeiner innerstädtischen Wiese war auch noch genug Zeit für die organisatorischen Erledigungen. Also bin ich zum WKZ auf dem Marktplatz getippelt. Bei der Startnummernausgabe wurde es dann etwas unübersichtlich und doch langwieriger als geplant. Man hatte die Startnummern der paar „Classico“-Fahrer fälschlicherweise noch anderweitig vergeben. Somit erfolge eine Neuanmeldung vor Ort ganz analog per Stift und Zettel und wieder anstellen und neuen Beutel packen und....
 
Jedenfalls verbrachte ich die Zeit wenigstens im Trockenen. Wieder draußen mahnte der Blick zur Rathausuhr schon etwas zur Eile. In der Hoffnung, den Weg zum Parkplatz etwas abkürzen zu können, verließ ich den Platz auf anderem Wege, als dem Anmarschweg. Nach 9 OL`s sollte ich das doch drauf haben...
 
Kurz und gut (oder eben NICHT gut) - ich habe den Parkplatz nicht mehr gefunden! Die Zeit, in welcher ich eigentlich noch den harten vertrockneten Ledersattel gegen ein komfortables und 100-Prozent veganes Produkt tauschen, wollte irrte ich hektisch durch die Gassen. Zum Glück ist Rumburk nur eine Kleinstadt und ich stand knapp 15 Minuten vor dem Start wieder am Auto. Raus aus den Klamotten und rein in die Klamotten. Die wichtigsten Utensilien noch in den Beutel gepackt, welche da waren: 1 Büchse BIRELL (ich hatte nur einen Flaschenhalter, werde also unterwegs nachfüllen müssen), Fotoapparat und einen Original-Ersatzschlauchreifen ca. Baujahr 1987 + Klebeband und Luftpumpe.
 
Als ich auf dem Markt ankam stand vorne natürlich alles schon dicht an dicht. Da die „Nebenwettbewerbe“* aber 10 min vor dem Feld starten, musste ich dann zumindest noch zwischen die Mountainbiker quetschen können. Davor standen die historischen Siglespeeder und eben die „Classico-Rennräder“. Da es aber bei den Tschechen keine RTF`s gibt, ging vorne direkt nach dem Startschuss die Post ab. Krusnotongleich kam auch hier gleich zu Anfang der erste Berg, direkt aus der Stadt heraus. Den habe ich mich mit meiner leichtesten – aber trotzdem berguntauglichen – Übersetzung noch hoch gequält. Da wir ja ausschreibungsgemäß Hakenpedalen fahren mussten, hatte ich gut lauffähiges Schuhwerk an, das sollte an den folgenden drei Anstiegen dann auch bestimmungsgemäß zum Einsatz gebracht werden. Vor dem ersten „Schiebeberg“ kamen dann auch die vorderen Gruppen des eigentlichen Hauptfeldes vorbei.
 
Völlig bekloppt war, dass die besten Rollerfahrer – welche ja auch mit uns gestartet waren – noch vor mir waren. Auch daran sollte sich bis zum Ziel nichts mehr ändern. Nach gefühlt einer Stunde Fahrt, erspähte ich eine Kirchturmuhr, welche mir aber auf brutale Weise vermittelte, dass es gerade mal eine gute halbe Stunde war. Das hieß, ich habe noch ¾ bis 4/5 vor mir. Uff! Der „Wendepunkt“ war dann wirklich erst der Grenzübergang bei Sebnitz.
 
Dort kommt man eine leichte Abfahrt herunter, um dann im großen Bogen nach links abzubiegen. Es empfiehlt sich, genügend „Schwung“ mitzunehmen denn plötzlich geht es wieder steil bergan. Den Anstieg hatte ich noch in schlechter Erinnerung, von meiner ersten 180km-Ausfahrt von Hartha nach Mittelherwigsdorf. Schnurgerade und im oberen Bereich von vietnamesischen Wochenmarktständen gesäumt. Dieses Mal aber auch von frenetischen applaudierendem Publikum. Um das möglichst lange genießen zu können, absolvierte ich auch diesen Anstieg im (mit) Schritttempo. Auf der Hälfte dann noch ein kleiner Plausch mit ein paar deutschen „Schlachtenbummlern“ und ein kräftiger Schluck aus der Pulle. Oben angekommen trat ich voller Freude, endlich auf dem Rückweg zu sein, wieder in die Pedale. Auf den Flachstücken und leichten Steigungen ging es eigentlich ganz gut, so dass ich mich beim Schild „Rumburk 12km“ schon so gut wie im Ziel wähnte.
 
Auf dem folgenden Gefälle gab eine Helferstafette Zeichen, die Geschwindigkeit zu drosseln. Es ging in eine regennasse Rechtskurve mit „landestypischen“ Bahnübergang im Scheitelpunkt. Mit dem üblichen „Hopser“ überquerte ich diesen und rollte danach weiter abwärts. Kurven und Nässe mahnten zur Vorsicht, so dass es also nicht allzu rasant herunterging. Ich verspürte zweimal ein leichtes Poltern unterm Hintern, dachte dabei aber eher an Straßenschäden – bis mir plötzlich ein markerschütterndes schrilles Kreischen in die Ohren fuhr. Der schmerzvolle Aufschrei blanken Aluminiums auf nassen rauem Asphalt. Irgendwie hielt ich mich aber senkrecht, bremste mit Bedacht (als ob ich in diesem Moment hätte denken können) und steuerte nach rechts auf den grasbewachsenen Randstreifen, um im Falle eines Sturzes etwas weicher abzurollen. Diese brachiale „Endlösung“ blieb mir glücklicherweise erspart, ich rollte sanft „im Grünen“ aus.
 
Nach dem akrobatischen Talent war nun das handwerkliche gefordert. Ich als bekennender „Drahtreifen-Fan“ hatte es in diesem Falle aber jetzt mit „Schlauchreifen“ zu tun, also aufgeklebter Bereifung. Das hatte ich aber beim Herrichten des Gefährts den Fachleuten überlassen. Unter denen es aber wiederum 2 Fraktionen gibt, die Klebeband-Fraktion und die, die sich gerne mit „Chemisol“ die Finger verkleben und dann mit Fausthandschuhen fahren müssen. Ich war dazumal an einen geraten, der auf Klebeband schwörte. Für Reparaturzwecke o.k., ich hatte ja Reifen und Band dabei und habe es unter „feldmäßigen“ Bedingungen auch recht flott hinbekommen. Aber der eigentliche Sinn der aufgeklebten Schlauchreifen ist, dass sie im Falle eines Defektes eben auf der Felge bleiben, weil sie ja aufgeklebt sind und somit bei (auch bei schlagartigem) Luftverlust die Felge schonen. Mein Reifen hatte aber noch Luft, war aber komplett von der Felge gesprungen. Die Felge sah auch entsprechend mitgenommen aus. Oha, das hätte auch einen ziemlichen Fitz zwischen Speichen und Rahmen geben können. Nur nicht drüber nachdenken, zumal man ja als Retro-Classico-Fahrer des „stilechten“ Outfits wegen auch KEINEN Helm trug.
 
Luft war wieder drauf, hier konnte sich meine Minipumpe mal richtig bewähren, da Schlauchreifen mit höherem Druck gefahren werden, als Drahtreifen. Schnell noch die Kette wieder auflegen und weiter geht’s. Nun ist beim alten DIAMANT die gute FAVORIT-Schaltung aber nicht fest am Schaltauge montiert, sondern wird nur mit dem offenen „Blechhaken“ zwischen Ausfallende und Schnellspanner geklemmt. Na jedenfalls bammelte es ja noch an der Kette herum. Fertig montiert spannte es aber die Kette nicht. Irgendwie lief die Kette genau entgegengesetzt durch die Leitrollen. Jetzt lagen die Nerven doch etwas blank. Eigentlich war es ganz einfach, die Kette hatte sich im Schaltwerkskäfig beim Radausbau nur um 180° gedreht – oder eben das Schaltwerk um die Kette. Da musste aber erst mal drauf kommen, von oben nass und von unten voll mit Adrenalin bis unter die Schädeldecke. Es hat gefühlt eine viertel Stunde gedauert, ehe ich das Problem gelöst hatte. Makramee dagegen ist Kindergeburtstag!
 
Uff! Wieder aufgesattelt – dem Ziel entgegen. Es kamen noch ein paar kürzere Anstiege, das ging einigermaßen – schade nur, dass ich es jetzt auf den Abfahrten nicht mehr „krachen“ lassen konnte. Der Ersatzreifen war zwar bis zu seinem Einsatz noch keinen Kilometer gefahren, aber eben fast so alt wie ich! Und was man dem Klebeband zutrauen konnte, hatte ich ja gerade erlebt. Wenn das Wetter besser gewesen wäre, hätte man den Wochenend-Ausfahrtcharakter ja genießen können, so aber wollte ich eigentlich nur noch „nach Hause“, um endlich meine Speise- und Getränkemarken einlösen zu können.
 
Für die eifrig anfeuernden Zuschauer in den Dörfern legte ich als Dankeschön immer noch ein paar angedeutete „Zwischensprints“ ein und so hatte jeder seinen Spaß. Insbesondere ein kleiner Junge, welcher mit seinem Papa vor seinem Haus spontan Getränkebecher zureichte, mit BIER natürlich. Ich nahm es dankbar entgegen, war jetzt auch wirkungsvoller als BIRELL. Also, ein „richtiges“ Bier zur rechten Zeit am rechten Ort, das geht schon mal.
Ab jetzt waren auch alle 500m die Restkilometer auf den Asphalt gepinselt, das spornte nochmals an. Gegen eins bin ich dann durchs Ziel geradelt. Durchnässt, mit ölverschmierten Händen und versautem Trikot, einen kaputten Reifen und einer schrottreifen Felge – aber GESUND und glücklich! Und nicht als Letzter.
 
Für die „Anschlussversorgung“ auf dem „Festplatz“ war seitens des Veranstalters gesorgt. Gulaschsuppe mit Zwiebeleinlage und reichlich Brot, Bier „mit und ohne“ und Kaffee gab`s auf „Marke“. Und Buden mit „freiem Markt“ standen auch zur genüge herum.
Ich aber hatte „all-inclusive“ in einer halben Stunde zu Hause in Aussicht, also ungeduscht ins Auto und Tschüss!**
 
 
* Classico-Rennräder, Historische 1-Gang-Räder, MTB´s und Tretroller
 
**...ich glaube bei den Radfahrern heißt es: „Mit Schlauch- und Felgenriß“ ...oder so ähnlich.
 


Das Rennen wurde auch live im www. übertragen - hier die "Aufzeichnung":


Ab 2:36:30
--> bei 2:37:32 sieht man mich rechts nach erfolgreichem Reifenwechsel, gerade fertig zur Weiterfahrt, als ich vom ersten 110er überrundet wurde.

Der UNFALL zwischen Bahnübergang und mir war, als ich da runter fuhr, noch nicht da. Muss also nach mir passiert sein. Das der Krankenwagen an mir vorbei fuhr, hatte ich registriert - aber nicht dass er von der Unfallstelle kam, die wohl nur ein paar Meter hinter mir war.
 
FAZIT:
 
Also, ich habe folgendes Unterschätzt:
  1. meine schlechte Form nach nur 2 Stunden Training dieses Jahr
  2. Das Scheißwetter - Regenjacke lag zu Hause
  3. Das "hügelige" Streckenprofil - schöne "Frühjahrs-Classiker"-Strecke
  4. ...und die Strecke vom Parkplatz zum Start
Laternengruß