Bericht Krusnoton 2014

...neue (zu schnelle) Freunde!

Rennrad zu verkaufen
oder
Der letzte Teil der KRUSNOTON-Trilogie

09. August 2014 - crazy race im Erzgebirge
Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, aber sie stirbt!
In meinem Fall dieses Jahr genau bei Kilometer 110. Sieben Minuten nach der deadline erreichte ich ziemlich kaputt vom dritten Anstieg das (eigentlich) rettende Buffet. Das meiste war schon eingepackt, Wasser bekam ich noch und den letzten Becher Cola.

Meine Entscheidung war gefallen: Ich klappte also meine Starnummer ein und verkündete dem noch verbliebenen Standpersonal meinen Entschluss, auf direktem Wege ins Ziel zu fahren und mich somit aus der Wertung zu nehmen. Ende. Aus. Das Ding wird zu Hause verkauft!

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Eigentlich wollte ich dieses Jahr, noch mit der Schmach des technischen K.O. im Vorjahr belastet, alles richtig machen. Ein bisschen strukturierter trainiert, einen zehnten Gang eingebaut, mentale Stärke aus der Werbetätigkeit für dieses Event gezogen und die Streckenverpflegung nach der neusten Publikation des TOUR-Magazins zusammengestellt. Nur mit der dringend nötigen Verringerung des „Systemgewichts“ hat es leider nicht geklappt, was aber hauptsächlich am Mehrgewicht des zusätzlichen zehnten Ritzels gelegen haben muss.
Der einzige unklare Punkt war bis zuletzt die Auswahl der Streckenlänge. Vor zwei Jahren war das noch relativ einfach, 180 Kilometer zählte zu den 99 Dingen, die ein Mann tun muss, bevor er Fünfzig wird. Naja, damit bin ich nun durch und muss eigentlich mir und niemanden mehr etwas beweisen.

Doch – man(n) muss!

Trotz einiger verschleißbedingter Rückenprobleme, deren hilfloser Versuch einer Behandlung mich an Ulle's beste Jahre erinnerten – Donnerstag Spritze, Freitag Infusion (wobei die Infunade von Farbe und Konsistenz weniger sauerstoffangereichertem Tomatensaft glich, als eher dem Nordhäuser Doppelkorn) – legte ich mich am Vorabend des Rennens doch auf die 180 Kilometer fest (es waren ja immer noch 100 vom letzten Jahr aufzuholen).

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Ziemlich deprimiert rollte ich also nach dem leider jetzt schon letztmaligen Befüllen der Trinkflaschen der langen Abfahrt entgegen. Da ich diese nun schon auswendig kannte, wir befuhren sie jetzt zum zweiten Male, hatte ich Gelegenheit mir ein paar passende Ausreden zusammen zu reimen. Aufgabe? Nein, schlimmstenfalls eine „tagesformbedingte Streckenmodifizierung“. Aufgeben ist erst, wenn man in den Besenwagen (oh, das böse B-Wort – es wird noch eine Rolle spielen) einsteigt – und das wird NIE passieren! Da müsste man mich schon mit einem Kescher vom Rad holen und in eine Zwangsjacke stecken, um mich da rein zu kriegen! Dafür, dass mir der Orthopäde meines Vertrauens gestern noch folgenden ernstgemeinten Rat gab - Wenn sie unbedingt Fahrrad fahren wollen, kaufen sie sich am besten ein Hollandrad! – habe ich mich doch ganz gut geschlagen, oder?

Die Abfahrt war zu Ende, es ging jetzt durch welliges städtisches Terrain. Die Beine rotierten schon wieder recht anständig – nur „schnell“ nach Hause. Vielleicht wirkte auch schon die Cola. Seit einiger Zeit hatte ich aber das Gefühl verfolgt zu werden. Halluzinationen aufgrund der Sauerstoffschuld? Es klang wie Kette rechts. Shimano-Schaltgeräusche! Irgendwann auf dieser langen Gerade quälte sich dann doch ein tschechischer Sportsfreund an mir vorbei. Sprach mir ein paar, für mich unverständliche, aber sicherlich aufmunternd gemeinte Worte zu und versuchte davon zu fahren.

Er fuhr einen recht „schweren“ Tritt - im Gegensatz zu mir, der ich alle meine 32 Zähne mittlerweile sehr oft gebrauchte – ging aber bei jeder Welle aus dem Sattel und „keulte“ drüber. Eine richtige Lokomotive also.

Die Streckenteilung kam näher, er aber nicht richtig weg. Keimte jetzt nochmal so etwas wie Hoffnung auf? Die „zweite“ Luft? Der „dritte Frühling“? Für Ihn gilt doch derselbe Zielschluss wie für mich, denke ich. Fährt er weiter, oder biegt er auch auf die „Abkürzung“ ein?
Die Schilder… 110 km links, 180 km rechts…
Ich halte mich links, doch in der rechten Hand kribbelt es. Der Kollege bleibt rechts. In meinem Gehirn beginnt plötzlich das digitale Zeitalter. Null oder eins – Champion oder Loser - links oder rechts? Der Straßenteiler kommt. Mit beherztem Ruck reiße ich das Steuer nach rechts (deshalb heißt RECHTS wohl auch Steuerbord)!

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Das Rennen beginnt zum zweiten Mal. Es wird ein Rennen gegen die Zeit, gegen den drohenden Zielschluss um 19:30 Uhr.

Ich gebe mir also einen Ruck und kämpfe mich wieder an den tschechischen Kameraden heran, ging an ihm vorbei, blickte mich um und durch kurzes Nicken verständigten wir uns wortlos über unsere gemeinsame Mission. Ziemlich schnell hatten wir unser passendes Tempo gefunden – wahrscheinlich waren wir beide am Drehzahlbegrenzer. Allein wäre es wohl für jeden von uns schwer geworden. Aber Klassenbrüder sind Waffenbrüder – die Klasse war S-M50 und die (zugegebenermaßen schon recht stumpfen) Waffen zwei Aluräder und vier lahme Beine!

Auf der folgenden welligen Transferstrecke zwischen Erzgebirge und dem böhmischen Mittelgebirge ergab sich durch die Topographie eine sinnvolle Arbeitsteilung von selbst, er zog – wie schon oben erwähnt – Lokomotiven gleich vornweg über die Rampen, an den Kulminationspunkten demmelte ich vorbei und nutzte den Schwung der Abfahrten um in die Flachstücke hinein zu führen.

Es lief, nicht zuletzt durch die lange Abfahrt und dem folgenden Rouleurstück waren wir wieder im Limit, sogar mit ein bisschen Reserve. Die war aber auch bitter nötig, denn die „restlichen drei Hügel“ werden diese wieder zu Nichte machen, soviel wusste ich noch vom letzten Mal.
Im ersten der drei Anstiege, einer relativ langeinsehbaren, mäßig ansteigenden Gerade wurden Erinnerungen an 2012 wach - schmale schlechte Straße, Traktor mit überbreiten Anhänger von vorn – das war doch alles schon mal da. Ein völliges Déjà-vu, es kam wie es kommen musste, auch der Besenwagen tauchte an fast derselben Stellen auf.

Doch die Situation heute war eine völlig andere – er war diesmal ROT!
Auch wurde er wohl dieses Jahr nicht mehr von einem ausgemusterten MAN-Schiffsdiesel befeuert, der immer näher kommende Klang war schon beinahe sirenenhaft. Bis zum letzten Buffet, welches schon nach dem Anstieg auf uns wartete, retteten wir unseren Vorsprung.
Hier ergab sich zwischen dem tschechischen Sportsfreund und der Veranstaltungsexekutive ein entspannter Plausch, ich nehme an, mein Mitstreiter hat ihnen erklärt, dass wir schon schneller fahren könnten, aber da wir schon mal hier sind, auch etwas von der schönen Landschaft mitbekommen wollten und den vielen Sehenswürdigkeiten die gebührende Aufmerksamkeit entgegenbringen müssten.

Flaschen füllen, diesmal gab es noch die Auswahl zwischen zwei Becherreihen, eine mit dunkelbraunem Inhalt, rechts daneben mit hellgelblichem. Ich entschied mich für links, rechts hatte ich heute schon, was aber war wohl in den anderen?

So gestärkt fuhren wir in den vorletzten bedeutenden Anstieg. Genau in dem Steilstück in welchem ich damals links raus fuhr, um den Besenwagen vorbeizulassen, verschaltete sich der Kollege und musste vom Rad. Ich versuchte dennoch meinen Rhythmus bis zur Kuppe durchzuhalten. Erst oben konnte ich mich wieder umdrehen und sah, dass auch er wieder in Gang gekommen war. Gut so, denn den letzten Berg hätte ich nicht allein fahren wollen. So spannten wir also nochmal zusammen und gingen, jeder wie er noch konnte, in die letzte Steigung. Er konnte besser, wartete aber oben. Irgendetwas hatte ich plötzlich im Auge. Schweißperlen von der Stirn? Tränen – der Freude und der Erschöpfung! Geschafft, jetzt nur noch sturz- und pannenfrei herunterkommen. Wir versuchten es nochmals mit Führungswechsel, meine Anteile wurden dabei aber immer kleiner.

Noch drei Kilometer bis zum Ziel, die Restkilometerzahl ging rapide nach unten – die Bahnschranke vor uns leider auch! Wir haben doch keine Zeit! Zum Glück kam nur eine kleine, aber schnelle Rangierlok. Antritt, die Champs-Élysées von Teplice entlang, Einbiegen in die Zielgerade. Und nach barrierefreien 188 Kilometern das erste Auto, was uns im Weg stand. Wirklich bis hier, selbst noch zuletzt im Stadtverkehr wurde für uns abgesperrt – super!

Also ein kurzer Hüpfer auf den Bürgersteig und gemeinsam (hier entwickelte sich unser erstes richtiges langes Männergespräch: „together!“) dem Zielstrich entgegen. In heimtückischer Absicht streckte ich ihm meine Hand zum „shake hands“ entgegen, um ihn davon abzulenken, dass ich mein Vorderrad ein kleinwenig vorschob – NEIN, LETZTER wollte ich heute wirklich nicht werden!

Sorry, Vladimir! Ehrlich, wenn du nicht in Lom an mir vorbeigefahren wärst, wäre ich links abgebogen und hätte die „Kneifervariante“ gewählt. Nochmals meinen Dank für das gute Zusammenspiel. Und für's nächste Mal einfach dickeren Reifen draufmachen.
So, und wer nicht zu spät kommt, den betraft auch nicht das Leben. Nudeln waren noch reichlich da und warm, die Duschen noch heiß. Also alles gut.

Fazit:

Überlebt!

Bruttoschnitt um ein Zehntel verbessert, was aber auch daran gelegen hat, dass man bei der Hitze nicht Pinkeln musste – ja, absolute Körperbeherrschung ist auch Bestandteil einer ausgefeilten Renntaktik.

Ob ich diesen Event bei meiner Krankenkasse für's Bonusprogramm anmelde weiß ich noch nicht, vielleicht muss ich sonst noch Strafe zahlen – wegen vorsätzlichen groben Unfugs.
O.K., wer wissen will wie es wirklich ist, einfach mal mitfahren im nächsten Jahr.

Mit sportlichem Gruß

Die (glühend) Rote Laterne

...was bleibt?

Infos zur Veranstaltung:

http://www.krusnoton.cz/de/